Letzte Aktualisierung: 6.6.2024

Atem und Verdauung

Atmen – das geht doch ganz automatisch, denken wir. Im Prinzip ist das richtig: solange wir leben, atmen wir – und das meist, ohne dass wir uns Gedanken darüber machen müssen. Wir atmen bei Tag und auch während der Nacht, wenn wir schlafen.

Die Atemfrequenz beträgt beim Erwachsenen im Mittel etwa 15 Atemzüge pro Minute. Dies bedeutet, dass wir pro Tag über 20.000 Mal ein- und ausatmen. Wenn wir uns anstrengen, geht der Atem schneller, wenn wir ruhen oder schlafen, verlangsamt sich die Frequenz. Sobald durch Anstrengung mehr Sauerstoff vom Organismus, also unseren Muskeln und unserem Gehirn, benötigt wird, reagiert unserer Atemsystem mit schnellerem Atmen. Ist bei Ruhe und Entspannung weniger Sauerstoff erforderlich, atmen wir langsamer.


Wie funktioniert der Atem?

Zum Atmen wird nicht nur die Lunge benutzt. Viele Muskeln, insbesondere der große Zwerchfellmuskel unter der Lunge, aber auch die vielen kleineren Rippenmuskeln ziehen die Lunge auf, die ja eigentlich nur ein schlaffer »Sack« und eben kein Muskel ist. Dabei füllt sie sich mit der Umgebungsluft. Entspannt sich die Atemmuskulatur, schrumpft auch die Lunge wieder zusammen, so dass der Atem entweicht.

Beim Atmen wird über die Lungenbläschen Sauerstoff aus der Atemluft aufgenommen und ins Blut übergeführt. Im Gegenzug wird Kohlendioxid aus dem Blut aufgenommen und beim Ausatmen in die Umgebung abgegeben. Gleichzeitig werden auch andere Gase wie z.B. Wasserstoff oder Methan, die von unseren Darmbakterien produziert werden, abgeatmet (siehe hierzu auch den Beitrag »Grundlagen zu Atemtests«). Weitere Abfallprodukte werden ebenfalls über die Lunge entsorgt, denn sie ist wie die Leber, die Nieren oder die Haut eines unserer großen Entgiftungsorgane.

Zusätzlich zu der automatischen Atmung können wir unseren Atem auch ganz bewusst steuern. Wir können flacher atmen oder die Luft anhalten – zumindest so lange, bis unser Körper akuten Sauerstoffmangel signalisiert und wir automatisch wieder Atem schöpfen müssen. Wir können aber auch bewusst schneller oder auch tiefer atmen. Dies kann sogar zu einer sogenannten Hyperventilation führen, weil dann die Balance zwischen Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxidabgabe kippt. Wir merken dies zum Beispiel, wenn wir ein Kinderschwimmbecken aufpusten: es kann uns schwindelig werden, und wir müssen eine Weile pausieren, bis sich das Sauerstoff- und Kohlendioxidgleichgewicht wieder eingependelt hat. Aber auch Stress oder Angst kann zu Hyperventilation führen, weil wir dann zu hektisch ein- und nicht ordentlich ausatmen.


Atem – früher und heute

Wenn wir einmal überlegen, wir unsere Vorfahren lebten, können wir feststellen, dass diese sich einen großen Teil des Tages bewegten. Sie streiften durch ihre Umgebung und liefen weite Strecken. Sie bückten sich, um Wurzeln auszugraben, rannten (oft erfolglos) einem Beutetier hinterher, um es zu erlegen oder kletterten auf Bäume, um Vogeleier aus den Nestern zu holen. Das Leben war anstrengend, die Atmung deswegen gut und trainiert.

Unser heutiges Leben spielt sich zum großen Teil auf dem (Büro-)Stuhl oder dem Sofa ab, und auch die Autofahrt in den Supermarkt ist nicht wirklich anstrengend, so dass sich unsere Atemfrequenz kaum einmal erhöht.


Atem und Verdauung

Dies hat weitreichende Folgen – vor allem für unser Verdauungssystem. Denn der Atem spielt bei unserer Verdauung eine entscheidende Rolle. Schauen Sie sich doch bitte einmal unser Verdauungssystem an: hier finden Sie eine Abbildung. Sie sehen dort, dass der große Zwerchfellmuskel (in der Abbildung mit der Nummer 3 gekennzeichnet) den Raum unter der Lunge (14) und über Leber (4) und Gallenblase (5), Bauchspeicheldrüse (6), Magen (7), Dünndarm (9) und Dickdarm (10) begrenzt. Sämtliche Organe im Bauch sind dicht gepackt – kein bisschen Freiraum ist dazwischen. Wenn wir einatmen, bewegt sich das Zwerchfell nach unten und drückt auf unsere Verdauungsorgane. Beim Ausatmen wird der Druck zurückgenommen – Magen, Verdauungsdrüsen und Darm werden also mit der Ein- und Ausatmung richtig durchgeknetet. Und das ist gut so! Wie alle diese Organe, ist insbesondere aber unser Dickdarm faul und benötigt u.a. Anregung von außen, um zu funktionieren und den Stuhl in Richtung Ausgang zu bewegen.

Es ist also einsehbar, dass eine tiefe und sorgfältige Atmung die Darmtätigkeit im besten Sinne anregen kann, damit unsere Verdauung optimal funktioniert.


Atem und Verdauungsprobleme

Sämtliche Probleme – seien es Blähungen, Verstopfung oder auch Durchfall, aber auch Schmerzen können mit einer bewussten Atmung günstig beeinflusst werden. Es ist gut, wenn die Darmmuskulatur gut durchblutet wird, weil wir durch tiefes Atmen ausreichend Sauerstoff aufnehmen. Allein aber auch die mechanische Anregung vom Zwerchfell und der Bauchdecke führt zu einer besseren Tätigkeit der Darmmuskulatur (Peristaltik), wodurch der Darminhalt kontinuierlicher weitertransportiert wird. Läge der Darminhalt durch eine gebremste Peristaltik länger in den einzelnen Darmabschnitten – insbesondere im Dickdarm, hätten die Darmbakterien sehr viel mehr Zeit, sich über die Nährstoffreste herzumachen und dabei auch mehr Abfallstoffe in Form von Gasen und Säuren zu produzieren. Diese machen dann Probleme in Form von Blähungen und Bauchschmerzen. Aber auch die restliche, im Speisebrei befindliche Flüssigkeit kann vermehrt wieder über die Dickdarmschleimhaut aufgenommen und resorbiert werden. Der Stuhl dickt über Gebühr ein, und wir haben Verstopfung. Ein Teufelskreis setzt ein, denn festerer Stuhl kann vom Darm nur schwer weitertransportiert werden, die Darmbakterien haben länger Zeit – usw., usw.

Insgesamt verändert sich auch die Gesundheit unserer Darmschleimhaut zum Negativen, denn deren Qualität und Funktionsfähigkeit wird ja auch maßgeblich mitbestimmt von der Zusammensetzung unserer Darmflora (Mikrobiota). Dies kann u.a. auch zur Folge haben, dass durch mangelhaft versorgte Zellen die Darmschleimhaut undicht und durchlässig wird (Leaky Gut – siehe auch »Grundsätzliches über die Darmflora«) oder aber auch weniger Verdauungsenzyme im Dünndarm gebildet werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit bzw. die Ausprägung von Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten steigen. Auch das sogenannte Reizdarm-Syndrom kann hiermit in Zusammenhang gebracht werden (siehe auch »Reizdarm-Syndrom – was ist das?«). Lesen Sie hierzu bitte auch den Beitrag »Darmpflege« und alle anderen Beiträge zum Thema »Darmgesundheit« unter dem Menüpunkt »Wissensdatenbank«.

Auch Sodbrennen oder sogar ein Reflux – also das Zurückfließen der beißenden Magensäure in die Speiseröhre – können durch eine mangelhafte Verdauung gefördert werden. Wenn der Darm durch Gase aufgebläht ist und deshalb von unten gegen den Magen drückt, kann die Säure aufsteigen und diese Probleme begünstigen. Im Beitrag »Sodbrennen und Reflux« können Sie mehr über diese belastende und schmerzhafte Erkrankung lesen.


Gesunder Atem – gesunde Verdauung

Da wir unseren Atem bewusst beeinflussen können, haben wir mit Atemübungen auch ein wunderbares Mittel an der Hand, unsere Verdauung beeinflussen zu können.

Jede Frau, die bereits ein Kind geboren hat, kennt die Atemtechniken von Grantly Dick-Read oder Ferdinand Lamaze. Mit beiden Techniken, die sich zwar etwas unterscheiden aber im Grunde dasselbe bewirken, kann man Schmerzen bei den Geburtswehen sehr günstig beeinflussen.

Auch Bauchschmerzen, Blähungen und alle ihre Folgen durch eine gestörte Verdauungstätigkeit kann man mit geeigneten Atemtechniken »weg atmen« bzw. wesentlich mildern.

Dabei ist es Ihnen überlassen, ob Sie (wie Dick-Read es empfiehlt) kontinuierlich tief in den Bauch und zu den Blähungen und Schmerzen hin atmen, oder ob Sie (wie Lamaze es vorschlägt) die Tiefe des Atems der Intensität der Beschwerden anpassen. Alles, was Sie als angenehm und wohltuend empfinden, nützt dem Erfolg. Wenn Sie sich und Ihre Verdauung mit den Übungen hingegen überfordern, erweisen Sie sich einen Bärendienst.


Atemübungen

Die Atemübungen zur Optimierung Ihrer Verdauung bzw. zur Behebung von Störungen sind ganz einfach und kein Hexenwerk.

Leider hat zumindest meine Generation noch den Grundsatz »Bauch rein, Brust raus« verinnerlichen müssen. Dies ist falsch! Auf diese Weise würden wir erstens nur mit den Rippenmuskeln nach oben und zweitens viel zu flach atmen und womöglich noch die Schultern hochziehen. Und zu guter Letzt wären wir vollkommen verspannt, was die Verdauung ebenfalls ungünstig beeinflusst. Für den Darm bedeutet dies, dass er von der Atmung kaum etwas mitbekommt und die anregende Wirkung ausbleibt.

Richtig ist es, hauptsächlich mit dem Zwerchfell tief in den Bauch zu atmen und die Rippenmuskulatur dabei mitzubenutzen. Die Schultern bleiben unten. So wird sanfter Druck auf das gesamte Verdauungssystem mit all seinen Organen wie Magen, Darm und alle Verdauungsdrüsen ausgeübt, so dass sich die Verdauungstätigkeit optimieren und Beschwerden verschwinden können.

Richtiges Atmen will – wenn man es nicht beherrscht, gelernt sein. Beobachten Sie sich zunächst, wie Sie atmen. Legen Sie die Hände auf den Bauch und schauen Sie, ob sich beim Einatmen die Bauchdecke nach außen bewegt. Dies soll nicht durch eine aktive Tätigkeit der Bauchmuskulatur geschehen – also aktives Herein- und Hinausbewegen, sondern passiv durch den Druck von innen. Achten Sie darauf, dass die Schultern locker hängen bleiben und nicht in Richtung Ohren gezogen werden.

Das Einatmen gehört genauso zu einer optimalen Atmung wie das Ausatmen. Eine gute Übung ist es, kräftig durch die Nase einzuatmen, während sich die Bauchdecke deutlich wölbt und langsam wieder auszuatmen. Letzteres ist zunächst gar nicht so einfach. Spitzen Sie die Lippen, als wenn Sie pfeifen wollten und atmen Sie nun gegen diese »Lippenbremse« aus. Dadurch verlängert sich automatisch die Ausatemzeit, zusätzlich wird wesentlich effektiver ausgeatmet und die Lunge besser geleert. Der Rhythmus sollte bei Ausatmen etwa zwei- bis dreimal so lange dauern, wie bei Einatmen. Eine kurze Pause zwischen Ein- und Ausatmen ergibt sich nach einiger Übungszeit meist von selbst.

Diese Basisübung können Sie mehrmals täglich bewusst durchführen. Sie wird Ihnen dann nach einigen Wochen in Fleisch und Blut übergehen und so die richtige Atmung zur Gewohnheit werden.

Es gibt zahlreiche weitere Übungen, die helfen, die Verdauung zu optimieren – insbesondere in Stress-Situationen. Lesen Sie hierzu gerne auch den Beitrag »Verdauung in der Corona-Krise«, in dem einige Atemübungen und eine Dehnungsübung mit Zeichnungen erklärt sind. Diese eignen sich nicht nur in der Corona-Krise, sondern helfen generell, bei Ängsten und Stress die Verdauung zu optimieren.

Bei Verdauungsbeschwerden führen Sie diese Atemübung gezielt durch – Sie werden die wohltuende Wirkung mit Sicherheit rasch verspüren. Eine gute Ergänzung kann es sein, die Übungen mit dem Pressen oder Klopfen von geeigneten Akupressurpunkten zu ergänzen und zu unterstützen. Bitte lesen Sie hierzu den Beitrag »Akupressur zur Beeinflussung von Magen-/Darmproblemen«.

Ggf. empfehle ich Ihnen, weitere Übungen zusammen mit einer Atemtherapeutin zu erlernen oder sich von einer Ernährungs- und Gesundheitsfachkraft beraten und anleiten zu lassen.


Weitere Möglichkeiten

Es gibt neben den Atemübungen viele weitere Möglichkeiten, den Atem und damit die Verdauung zu optimieren – und dabei noch richtig Spaß zu haben.

Beim Sport zum Beispiel atmen Sie ganz automatisch richtig. Es ist also vorteilhaft, sich so oft wie möglich am besten an der frischen Luft aktiv zu bewegen. Eine sehr gute Art – auch für den Ungeübten – ist das Nordic Walking. Hierbei werden neben den zum Laufen benötigten Beinmuskeln auch die Arme und alle Muskeln des Oberkörpers mitbenutzt. Dies fördert zusätzlich die tiefe und richtige Atmung, so dass sich dies besonders gut auf die Verdauungstätigkeit auswirken kann.

Was zunächst kaum jemand weiß, ist, dass auch das Singen perfekt zum besseren Atmen(lernen) ist. Sie atmen dabei nicht nur tiefer ein, sondern beim Halten der Töne auch länger und kontrollierter aus. Und den Spaß gibt es hier garantiert dazu, wenn Sie sich einen Chor aussuchen, der Ihrem Können und Anspruch angemessen ist. (Nicht nur) zur Not bringt es auch das Singen in der Badewanne oder unter der Dusche.
 
Darmgymnastik

Darmgymnastik Bei der Behandung und zur Vorbeugung unangenehmer Symptome einer jeden Nahrungsmittel-Unverträglichkeit, bakteriellen Fehlbesiedelungen der verschiedenen Darmabschnitte oder allen anderen Verdauungsproblemen ist grundsätzlich die kontinuierliche Bewegung eine unverzichtbare Komponente. Es ist wichtig, dass der Transport des Speisebreis durch den Darm so gleichmäßig wie möglich abläuft. Dies wird am besten erreicht mit einer kontinuierlichen Anregung der Verdauungsdrüsen und des Darms. Dazu eignen sich weniger die wenigen sportlichen Aktivitäten am Abend oder am Wochenende, sondern in möglichst engmaschigen zeitlichen Abständen durchgeführte Atem- und Bewegungsübungen.

In dem Buch »Darmgymnastik & mehr gegen Verdauungsbeschwerden« finden Sie viele Anregungen dazu. Zusätzlich sind Akupressurpunkte aufgeführt, deren Stimulation bei allen Verdauungsbeschwerden wirksam sind. Weiterhin werden zusätzliche Hilfsmaßnahmen und Hilfsmittel vorgestellt, die die Behandlung von Verdauungsproblemen effektiv unterstützen können. Und last, but not least, gibt es ein Kapitel mit Fragen, die in meiner Praxis immer wieder zu diesem Themenkomplex gestellt werden.


 
Beratung

Gerne biete ich Ihnen eine individuelle Beratung an – auf Wunsch auch telefonisch oder per Zoom oder Skype.
Bitte informieren Sie sich unter dem Menüpunkt »Praxis«.





Lesen Sie hierzu bitte auch folgende Beträge:
• Abbildung des Verdauungssystems
• Darmpflege: Gesunder Darm – gesunder Mensch
• Behandlung des Reizdarm-Syndroms
• Grundlagen von Atemtests
• Grundsätzliches über die Darmflora
• Sodbrennen und Reflux
• Akupressur zur Beeinflussung von Magen-/Darmproblemen
• Verdauung in der Corona-Krise
• Wissensdatenbank



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