Sehr lohnenswerte Lektüre für alle, der sich für das Mikrobiom interessieren
Dass wir in unserem Darm Bakterien (und viele weitere Mikroben) beherbergen, gehört (bei den meisten) zum Allgemeinwissen.
Auch, dass Bakterien unsere Haut und alle anderen Körperoberflächen besiedeln, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben.
Das war es aber meist auch schon.
Wer mehr über diesen spannenden Sachverhalt wissen möchte, kann entweder die einschlägige Fachliteratur wälzen, die
wahrscheinlich viele überfordern würde, oder aber zu »Winzige Gefährten« von Ed Yong greifen.
Yong hat es geschafft, dieses Thema so aufzubereiten, dass man es nicht nur verstehen kann, sondern dabei auch von der
ersten bis zur letzten Seite gefesselt ist. Angefangen bei Baba, dem sympathischen Schuppentier, schlägt er zunächst einen
weiten Bogen durch das gesamte Bakterien-, Pflanzen- und Tierreich und beschreibt, was vorteilhafte oder auch nachteilige
Symbiosen von Bakterien und ihren Wirten bewirken können und wie sich jeder Beteiligte diese Lebensgemeinschaften zunutze
machen kann.
Und er zeigt auf, welche Wirkungen auftreten, wenn sich in diesen Systemen etwas ändert. Insbesondere an den künstlich
bakterienfrei gemachten Mäusen werden die verschiedensten Effekte demonstriert, wenn sie mit dem einen oder anderen
Bakterienstamm konfrontiert werden. Auch Insekten, die sich in faszinierender Weise Bakterien oder auch Pilze zunutze
machen, werden zur Veranschaulichung herangezogen. Mit diesen und zahlreichen anderen Beispielen ist es auch für den
Leser mit wenig Vorwissen leicht verständlich, was das Zusammenleben mit Mikroben sowohl in negativer als auch in
positiver Richtung bewirken kann.
Der Schritt hin zu uns Menschen ist dann nur noch ein kleiner und für jeden ganz leicht nachvollziehbar. Dabei vergisst
Yong aber auch nicht zu erwähnen, dass eine Übertragung von Mäusen und anderen Versuchstieren auf den menschlichen
Organismus keineswegs selbstverständlich ist und es durchaus noch viele Unbekannte gibt.
Nach der Vermittlung dieses Basiswissens mit jeweils relativ wenigen Beteiligten führt Yong uns weiter: »Das Mikrobiom ist
kein unveränderliches Gebilde, sondern eine wimmelnde Anhäufung von mehreren Tausend Arten, die alle ständig untereinander in
Wechselbeziehung stehen, sich mit ihrem Wirt austauschen, sich weiterentwickeln und verändern.» Allein dieser Satz (auf
Seite 181) zeigt die Komplexität dieses Themas und macht deutlich, warum wir von alledem trotz des mittlerweile weitgehend
entschlüsselten Genoms nur einen winzig kleinen Bereich verstanden haben (oder uns dies zumindest einbilden).
Welche Funktionen die einzelnen Bakterienarten haben, welche Faktoren diese Funktionen ein- oder auch ausschalten, welche
Mechanismen die Bakterien einsetzen, um sich dieser Funktionen zu ihrem eigenen Vorteil zu bedienen – all dies beginnen
die Forscher langsam zu verstehen.
In einer Sisyphosarbeit hat Yong zahlreiche Wissenschaftler interviewt und Hunderte von Sekundärquellen gelesen und ausgewertet
(der Anhang mit Literaturangaben, Anmerkungen und zusätzlichen Erläuterungen umfasst allein rund 80 Seiten), um dem Leser all
dies darüber hinaus auch noch in äußerst liebenswerter Art und immer unterlegt mit humorvollen, anschaulichen Beispielen näherzubringen.
Im Vergleich zu den »Stoffwechselzauberern«, die untereinander sogar problemlos ihre Gene austauschen können, fühlt sich der
Leser, der sich als Mensch bisher vielleicht als »die Krone der Schöpfung« angesehen hat, plötzlich ziemlich klein und ist
tatsächlich ohne seine »winzigen Gefährten« nicht nur nicht gesund, sondern gar nicht lebensfähig.
Welches Potenzial das Wissen um die Bakterien für die Medizin hat, fangen wir langsam an, in Ansätzen zu erahnen. Die Versuche, mit
probiotischen Bakterienstämmen oder auch Stuhltransplantationen zu arbeiten, stecken in den ersten Kinderschuhen – zeigen aber
vielleicht schon ein wenig in die richtige Richtung. Die Philosophie der Antibiotika, mit denen man (nicht nur) die Krankheitserreger
platt machte, wird sicherlich irgendwann von einer neuen Denkweise ergänzt, wenn nicht sogar abgelöst, dass man mit gezielt eingesetzten
vorteilhaften Bakterien sehr viel mehr erreichen kann, ohne das ganze System aus dem Gelichgewicht zu bringen.
Young erklärt hier mit zahlreichen Beispielen, was in dieser Richtung bereits erforscht und versucht wurde, zeigt aber auch, welche Risiken
sogar diese heute angewendeten, »modernen« Methoden bergen können: u.a. warnt er (auf Seite 305 in Bezug zu den Stuhltransplantationen)
explizit die große Gemeinde der »Do-it-yourself-Transplanteure«, genauso aber auch die »desinteressierten Ärzte«.
Er bezeichnet Probiotika und Stuhltransplantate als »lebendige Medikamente«, deren Wirkungen von zahlreichen Faktoren (nicht nur)
des Empfängers abhängen. Somit sieht er die Zukunft von Bakterien in der Medizin in einer personalisierten und maßgeschneiderten Anwendung,
von der wir aber mangels umfangreichen Verständnisses des gesamten Systems heute noch meilenweit entfernt sind.
Die vielen Wissenschaftler, auf deren Arbeiten sich Yong bezieht, sind sicherlich auf einem guten Weg und das Buch lässt den Leser verstehen,
wohin dieser Weg führen kann und vielleicht wird. Gerne vergebe ich hier fünf sehr verdiente Sternchen: »Winzige Gefährten« ist eine
sehr lohnens- und empfehlenswerte Literatur!
Zur Amazon-Bewertung vom 3.8.2019
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